Eine große Anzahl Gläubiger war erschienen, um die Weihe und Aufstellung der neu geschaffenen Wendelinstatue mitzuerleben. Der Bildhauer Norbert Benz aus Owingen hat eine wunderschöne Statue geschaffen, die sich sehr gut in die Kapelle einfügt.
Lassen Sie mich, hierzu passend, ein paar Gedanken zu diesem Heiligen und dessen Verehrung anführen:
So reich die Legende den Weg des Heiligen ausgestaltet, so spärlich sind die historischen Zeugnisse über sein Leben. Historisch gesichert ist nur, dass Wendelin als iro-schottischer Missionar wirkte, bis er vermutlich im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts starb. Sicher ist auch, dass sein Grab sich in St. Wendel befindet. Die Legende berichtet, dass er als Einsiedler in der Nähe von Trier lebte. Als man ihn einmal einen faulen Bettler schalt, nahm er die Stelle eines Hirten an und hütete einige Jahre das Vieh auf dem Hof eines Edelmannes. Dies mag das Landvolk bewogen haben, Wendelin zu ihrem großen Fürsprecher zu erwählen. In seine Einsiedelei zurückgekehrt, wurde er später zum Abt des Klosters Thiley erkoren. Als er schon etliche Zeit das Amt innehatte, wurde er krank und starb kurze Zeit danach. Die Mönche begruben ihn im Kloster. Als sie am anderen Morgen zum Grab kamen, fanden sie dieses offen und den Leichnam daneben liegen. Da begriffen sie, dass er anderswo begraben sein wollte und legten den Leichnam auf einen Ochsenkarren, dessen Zugtiere nie zuvor eingespannt waren. Ohne menschliche Hilfe fanden sie aber den Weg bis genau zu dem Berg, an dem Christus Wendelin so oft erschienen war. Also bestatteten sie ihn oben auf dem Berg und erbauten über seinem Grab eine Kirche. Nun pilgerten zu dem Grab so viele Menschen, dass man dort eine Stadt erbaute (St. Wendel). Es geschahen dort noch viele Zeichen und Wunder. Besonders im 16. bis 18. Jahrhundert pilgerten große Scharen von Gläubigen zu
seiner Grabstätte.
Ja, auch in unserem ganzen Land nahm die Verehrung des heiligen Wendelin ihren Lauf. Die frühere Abhängigkeit der Bauern von Seuchenzügen und Naturkatastrophen kann man sich heute nur schwer vorstellen. Es gab keine wirksamen Medikamente und keine Versicherungen gegen Tierschäden oder Hagel. Hilfe suchte der Mensch bei den höheren Mächten, bei Gott und den Heiligen. In kaum einer Dorfkirche durfte die Statue des heiligen Wendelin fehlen und viele Kirchen, Kapellen, Bildstöcke und Votivtafeln erinnern an den Heiligen, so auch bei uns in Ernatsreute.
Wendelinsritte wurden durchgeführt und Prozessionen und Wallfahrten veranstaltet. So auch auf dem Ramsberg bei Großschönach. In Haigerloch-Trollfingen wurde im 18. Jahrhundert eine bis in die Gegenwart fortgeführte Wendelinsbruderschaft (Schäferzunft) gegründet. Nimmt man als Grundlage einer Beliebtheitsskala die Zahl der bildlichen Darstellungen, der Wallfahrten und Prozessionen, dann steht der heilige Wendelin nach Muttergottes Maria an zweiter Stelle. Der bekannte Benediktinermönch Anselm Grün deutet die Geschichte um Wendelin tiefenpsychologisch und sieht in dessen Gestalt ein menschliches Ursymbol. Wendelin habe seine Schafherde mit in seine Einsiedlerklause genommen. Die Tiere stehen für das Animalische, für Vitalität und Triebhaftigkeit, Wendelin als Hirte für den guten Umgang mit solchen Kräften, für ihre Annahme und Integration. Dadurch werde der Heilige zu einem Menschen, der in anderen Menschen das Leben wecken könne.
Sein Namensfest feiern wir am 20. Oktober. Und wenn vielleicht um diese Zeit in unserer Ernatsreuter Kapelle ein Gottesdienst zu seiner Ehre stattfindet, könnten wir vielleicht das uralte Wendelinslied erklingen lassen.
Bilder zur Wendelinsprozession